„Inhalte einfach zu senden, reicht nicht mehr“ – Henriette Heidbrink im Interview
Prof. Dr. Henriette Heidbrink spricht über neue Wege der Formatentwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und von der Rolle der Nutzerzentrierung.
Ein Beitrag von Antonia Hirschmann
Mittwoch, 14. Mai 2025
ikum
Prof. Dr. Henriette Heidbrink leitet die Studiengänge Onlinejournalismus (B.A.) und Media, Science and Technology (M. Sc.) an der Hochschule Darmstadt (h_da) und ist aktives Mitglied des Instituts für Kommunikation und Medien (ikum). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Formatentwicklung, digitalen Transformation und Medienmorphologie.
Frau Heidbrink, wie ist Ihre Leidenschaft für die Wissenschaft entstanden?
Ich hatte schon früh den Drang, Dinge zu systematisieren, Menschen zu befragen und Theorien zu entwickeln – das habe ich sicher von meinem Vater, er ist Psychologe. Er hat mir sehr früh die Grundlagen der empirischen Sozialforschung erläutert. Ich habe schon als Kind den „dogmatischen Falsifikationismus“ kennengelernt, richtig verstanden habe ich ihn dann erst im Studium.
Wie sind Sie in den Journalismus gekommen?
Ich habe zunächst ein Jahr Psychologie studiert, merkte aber schnell, dass mir der kreative Aspekt und der Bezug zu den Medien fehlten. Nach einer kurzen Station in der Banklehre entschied ich mich für Medienwissenschaften an der Universität Siegen – rückblickend genau die richtige Wahl. Mein Interesse galt immer dokumentarischen und fiktionalen Formaten. Der konkrete Einstieg in den Journalismus kam dann durch einen Lehrauftrag an der Hochschule Darmstadt, den ich 2013 übernommen habe.
Was sind Ihre aktuellen Forschungsbereiche?
Zum einen theoretisch-methodisch im Bereich der Medienmorphologie. Ich analysiere, wie sich digitale Medienformen vergleichen lassen und wie sich ihre Strukturen durch die Digitalisierung verändern. Zum anderen beschäftige ich mich intensiv mit Formatentwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – insbesondere mit Blick auf die digitale Transformation.
Wie entstand das Projekt zur Formatentwicklung in der ARD?
Das Projekt ist zufällig entstanden: Ich traf Helmer Heim, damals Redaktionsleiter bei funk (Hessischer Rundfunk) und wir stellten fest, dass wir eine ähnliche Frage hatten: Wie entstehen erfolgreiche Medienformate? Daraus entstand unsere erste Studie zur Formatentwicklung. Kurz darauf kam Christian Bernhardt von der Hochschule RheinMain dazu. Er bringt die Perspektive auf Produktion und Management ein, wir sind ein gut eingespieltes Dreierteam.
Was genau untersuchen Sie dabei?
Wir fragen uns, wie sich die Methoden der Format- und Inhalteentwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) verändert haben – etwa durch den Einsatz von Design Thinking oder agilen Methoden. Unsere Forschung zeigt, dass es tatsächlich eine typische Form der Formatentwicklung innerhalb der ARD gibt.
Sie untersuchen auch wie Innovationsprozesse im ÖRR entstehen. Wie steht das im Zusammenhang mit Formatentwicklung?
Durch eine ARD-übergreifende Initiative ist ein „Playbook“ für Formatentwicklung und ein begleitender Podcast entstanden – beides aus Eigeninitiative einiger Formatentwickler:innen. Das ist im ÖRR eher unüblich. Wir haben Interviews mit den Beteiligten geführt, um herauszufinden, wie diese Initiative entstanden ist, welche Herausforderungen es gab und was gut funktioniert hat. Ziel ist es, Innovations- und Transformationsprozesse innerhalb der ARD besser zu verstehen und sichtbar zu machen. Zukünftig wollen wir auch die Managementebene befragen, um herauszufinden, wie solche Initiativen wahrgenommen werden.
Gibt es ein Beispiel, das zeigt, wie Innovation und neue Formate besonders gut zusammengegangen sind?
Funk, das Jugendangebot von ARD und ZDF, ist ein gutes Beispiel. Die entwickelten Prozesse dienen mittlerweile als Vorbild für andere Redaktionen. Zentrale Stichworte sind Nutzerzentrierung und Zielgruppenorientierung: Formate entstehen nicht mehr „von oben“, sondern in engem Bezug zu den Bedürfnissen des Publikums.
Hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu langsam verändert?
Manche Entwicklungen hätten sicher früher kommen können. Andererseits war es klug, nicht überstürzt zu handeln, sondern erst zu beobachten, wie sich neue Formate entwickeln. Ein behutsamer Wandel verhindert Widerstände und ermöglicht nachhaltige Veränderung. Ich finde, man sollte diejenigen fördern, die Veränderung vorantreiben – mit Freiräumen und Ressourcen. Der ÖRR ist auf einem guten Weg, aber es bleibt viel zu tun.
Was setzt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so unter Veränderungsdruck?
Die Digitalisierung hat den Wettbewerb grundlegend verändert. Neben privaten Sendern konkurriert der ÖRR auch mit Streaming-Plattformen und Influencer:innen. Diese arbeiten oft ohne journalistische Standards, erreichen aber trotzdem große Reichweiten. Inhalte einfach zu senden reicht nicht mehr. Journalistische Angebote müssen nicht nur informieren, sondern auch Aufmerksamkeit gewinnen – etwa durch Gamification oder stärkere Meinungsanteile.
Welche Formate leisten das besonders gut?
Podcasts beispielsweise – sie verbinden Information, Meinung und persönliche Erzählung. Gerade für junge Menschen, denen bei klassischen Nachrichtensendungen oft der Kontext fehlt, sind Formate wie die News-WG eine wichtige Ergänzung.
Was hat es mit Ihrem zweiten Forschungsfeld, der Medienmorphologie, auf sich?
Die Medienmorphologie ist mein eigenes theoretisch-methodisches Denk- und Schreibprojekt. Die zentrale Frage lautet hier: Wie kann ich bei der Vielzahl digitaler Medienangebote eine vergleichende Analyse durchführen? Welche Schritte sind sinnvoll? Ich untersuche, wie Medienangebote strukturiert, gestaltet sind und welche übergreifenden Muster es gibt– über verschiedene Formate und Plattformen hinweg.
Welche Entwicklungen werden den Journalismus und die Medien künftig prägen und worauf sollten Medienschaffende achten?
Technologische Entwicklungen wie perspektivisch Quantencomputer werden auch die Medienlandschaft stark beeinflussen. Besonders KI verändert und bechleunigt schon jetzt viele Prozesse – von der Produktion bis zur Verbreitung von Inhalten. Auch politische Einflussnahme über soziale Medien und mediale Radikalisierungen sind besorgniserregend. All das eröffnet enormen Forschungsbedarf. Genau hier wird Formatentwicklung wichtig: Man muss mutig darüber nachdenken, wie man gute Impulse erzeugen kann.
Sie haben viele Projekte: Von Forschung und Lehre über Beratung zu Ihrem Podcast. Gibt es ein Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Mir liegen alle Projekte am Herzen. Ich mag die Vielfalt und die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Im Pendant Podcast etwa, den ich mit meinem Kollege Lars Rademacher moderiere, beschäftigen wir uns mit digitalen und medialen Phänomenen und treffen immer spannende Leute. Auch die Lehre mit den Studierenden bereitet mir viel Spaß. Die Herausforderung besteht darin, alles unter einen Hut zu bekommen – mit Energie und Freude, ohne sich zu überfordern und zu stressen.