ScienceWednesday: Wenn User Interfaces flexibel werden
Responsive Webdesign hat sich als Standard etabliert. Der nächste Schritt sind hochdynamische Reactive Designs, die neue Anforderungen an Designer stellen.
Ein Beitrag von Tobias Lübke
Donnerstag, 23. Juni 2016
ikum
Reponsive Design ist mit der Etablierung des Smartphones innerhalb weniger Jahre zu einem bedeutenden, wenn nicht sogar dem wichtigsten Designkriterium bei der Erstellung von Websites geworden. Doch die Reise ist dort noch lange nicht zu Ende, prophezeit Tilman Deuschel, Forschungsbeauftragter im Studiengang Interactive Media Design.
Beim letzten ScienceWednesday in diesem Semester führte Deuschel in allgemeine Designprinzipien ein, die es bei hochdynamischen User Interfaces zu beachten gilt. „Hochdynamisch“, weil sich die Interfaces noch während der Benutzung verändern – und sich nicht nur dem Ausgabemedium anpassen wie beim Responsive Design. Ein Beispiel für ein solches Interface ist die Benutzeroberfläche des mobilen Betriebssystems Android. Der Smartphonebesitzer ruft die Telefon-App auf und hat die Wahl: Angeboten werden die häufig angerufenen Kontakte und die zuletzt kontaktierten Personen. Mit jedem getätigten Anruf aktualisiert sich die Ansicht – die Inhalte passen sich abhängig von der Nutzung dynamisch an.
Responsive Design ist nur der Anfang
Ist eine Website heutzutage nicht für die Nutzung mit Smartphones und Tablets optimiert, entgeht dem Betreiber extrem viel Suchvolumen. Denn mittlerweile wird die Mehrheit der Suchanfragen bei Google von dem Handy aus getätigt. Noch einen Schritt weiter geht Reactive Design, welches JavaScript-Technologien nutzt, um Inhalte noch während der Nutzung nachzuladen. Ein gutes Beispiel ist Google Maps, das sich abhängig von den Eingaben des Benutzers aktualisiert, ohne die Seite neu zu laden.
Aber nicht nur im Webdesign finden reaktive Systeme Anwendung. Microsoft hat es mit der Verbreitung von Windows 10 geschafft, eine technische Grundlage für alle Produktfamilien zu etablieren. Ob in der Spielekonsole Xbox, auf dem Windows Phone oder dem Surface-Tablet: Überall werkelt derselbe Kernel und Programme können in der Theorie auf allen Endgeräten ausgeführt werden. Die Interface-Designer beim Redmonder Softwaregiganten verwirklichen seit 2006 sukzessive ein Designkonzept, das sie auf den Namen Ribbons getauft haben. Die Zeiten von ellenlangen Toolbars sind vorbei, stattdessen werden selten genutzte Funktionen zum Formatieren in Office 2016 nur dann angeboten, wenn passende Inhalte eingefügt wurden. Das Interface wirkt aufgeräumter.
User Interface Design ist Kopfsache
Um intuitive User Interfaces zu konzipieren, muss man verstehen, wie Menschen Bedienoberflächen psychologisch rezipieren – wie sie auf natürliche Weise mit Anwendungen interagieren. Beispielsweise hat unser Kurzzeitgedächtnis Auswirkungen darauf, wie häufig einzelne Elemente in einer Anwendung benutzt werden. Schaltflächen, die nicht bereits auf dem Homescreen sichtbar sind, sondern hinter Menüs verborgen bleiben, werden erheblich seltener geklickt. Der Nutzer fällt die Entscheidung in wenigen Millisekunden: Die Augen nehmen Objekte wahr, es wird geprüft, ob das Objekt bekannt ist, und abhängig davon, ob uns die Verwendung vertraut ist, erfolgt eine Interaktion – oder eben nicht. Für Designer lautet die Devise also: etablierte Interaktionsmuster aufgreifen und sich daran orientieren. Die Interaktion muss für den Benutzer erwartbar sein. Allerdings ist auch Deuschel klar: “Die beste Usability funktioniert nicht, wenn das Design den hohen Standard nicht halten kann. Im Optimalfall greifen Design und Usability wie Zahnräder ineinander.”
Usability ≠ User Experience
Usability und User Experience werden von Laien häufig synonym verwendet, jedoch setzen sie sich aus komplett unterschiedlichen Eigenschaften zusammen, wie Deuschel an einem praxisnahen Beispiel deutlich macht: Die Deutsche Bahn ist im Personenverkehr auf die “Satisfaction”, also die Zufriedenstellung des Kunden, ausgerichtet. Die Erwartungen der Kunden sind einfach: Die Bahnen sollen pünktlich abfahren und rechtzeitig ihr Ziel erreichen. Erfüllt die Bahn diese Erwartungen, sind die Fahrgäste dem Unternehmen gegenüber neutral eingestellt – die Kunden sind zufrieden. Erfüllt sie diese nicht, sind sie verärgert. Ähnlich verhält es sich mit der Usability eines Produkts. Ist die Bedienung angenehm und funktional, sind die Benutzer zufrieden. Funktioniert eine Anwendung entgegen der Erwartungen der Nutzer, reagieren sie schnell verärgert.
Hochpreisigere Bahngesellschaften wie etwa der Datterich-Express können Ihre Kunden nicht mit solch grundlegendem Service zufriedenstellen. Dort steigen die Kunden mit einer anderen Erwartungshaltung ein. Sie wollen auf eine Erlebnisreise mitgenommen und begeistert werden. Die Wirkung des Datterich-Expresses auf seine Kunden geht weit über das bloße Zufriedenstellen hinaus. Ähnlich verhält es sich mit der User Experience im Vergleich zur Usability. UX soll begeistern und positive Emotionen wecken – und baut dafür auf einer guten Usability auf.
Der Designer eines Produkts kann die User Experience nur in begrenztem Maße beeinflussen. Simplizität und Verständlichkeit sind hohe Werte im Interface Design, allerdings darf der Anwender auch nicht unterfordert werden. So stellt Excel zum Beispiel eine Tabellenkalkulation mit hunderten Funktionen zur Verfügung, die der Otto Normalverbraucher im Grunde nie verwendet. Dennoch benutzt er das Programm mit dem guten Gefühl, ein mächtiges Tool zu beherrschen. Jene Nutzerbedürfnisse haben anders, als man vermuten mag, nichts mit Selbsttäuschung zu tun – sie sind tief verwurzelt in unserer menschlichen Natur!
Reactive Design stellt hohe Ansprüche
Nach dem Ausflug in die große Welt der Designprinzipien und -regeln, fasst Deuschel seine Empfehlungen im Umgang mit dynamischen User Interfaces wie folgt zusammen:
- Verliere nie die psychologischen Interessen des Benutzers aus den Augen.
- Vermeide räumliche Elemente, die sich in Ihrer Geometrie während der Nutzung verändern.
- Das Manipulieren eines Elements beeinflusst die Beziehung zu seinen benachbarten Elementen. Alle Elemente eines Interfaces sind in der Wahrnehmung untrennbar verbunden.
- Der Mensch hat durch etablierte Interfaces klare Erwartungen, wo welche Funktionen zu finden sind. Diese Erwartungen dürfen nicht grundlos gebrochen werden.
Nicht die Komplexität einer Anwendung sei ein Problem, sondern die Verwirrung des Benutzers. Vielmehr geht es einem guten Designer darum, mit der Komplexität umzugehen. Sie zu bändigen und in geordnete Formen zu lenken.